Es kommt ab und zu vor, dass das Quietschen unserer Campertüre morgens erst gegen 10 Uhr zu hören ist. Auch heute ist es so, obschon die Sonne schon lange wärmt.
Ich muss zu dieser Geschichte noch vorausschicken, dass in Kanada jeder Stellplatz mit Tisch und Bank ausgerüstet ist. Und mein erster Blick geht heute morgen Richtung Tisch und was sehe ich da, einen geordneten Haufen nützlicher Verbrauchsartikel. Was ist denn das, das Zeug gehört doch nicht uns?
Bei genauerem Hinschauen entdecke ich einen Begleitzettel:
Guten Morgen Bern. Da wir heute abreisen, können wir diese Sachen nicht mehr gebrauchen. Es wäre ja schade alles wegzuwerfen. Auf Platz 89 hat es noch Holz. Bedient euch doch! Gute Reise Ursula und Jaco.
Dankeschön, ihr lieben Fremden, wir können das Material gut gebrauchen. Leider ist aber keine Adresse dabei, sonst könnten wir per Post ein Merci über den Ozean schicken. Die Sache lässt mich nicht ganz los. Also ist für mich der naheliegende Gedanke, Näheres am Empfang zu erfahren. Der Chef des Campgrounds gibt mir aber keine detaillierteren Angaben über Ursula und Jaco. Es sei in Kanada verboten, Auskünfte über Kunden zu erteilen, auch nicht der Polizei, bekomme ich zur Antwort. Und der Nachsatz: Die campierenden Kriminellen sind in diesem Lande gut geschützt.
Also vergessen wir die Sache und bereiten uns aufs Tagesprogramm vor. Wir wollen ja heute das Heritage Village in der Stadt besuchen, das ist so etwas wie das Freilichtmuseum Ballenberg, aber grösser, und an Attraktionen wird hier nicht gespart. Wir wollten eigentlich am Vortag diese Kulturstätte besichtigen, waren aber etwas spät an der Kasse und der Eintritt kostet doch 25 Dollar pro Person. Stattdessen erfreuen wir uns heute an der interessanten kanadischen Kultur und den Möglichkeiten, mit einer alten Eisenbahn oder einem Schiff zu fahren, oder auf einer Schiffschaukel hin und her zu schwingen, genau so wie wir es als Kind auf dem Lysser Märit taten. Es sind sehr viele Besucher da und Anstehen ist nicht unser Ding. Wir schlendern deshalb lieber durch die weitläufige alte Kulturstätte und lernen anhand diverser Gebäude und geschriebener Geschichten Kanadas Vergangenheit besser kennen.
Da kommen wir an einem alten Getreidesilo vorbei, eines wie wir es in der grossen kanadischen Ebene als Seltenheit von weitem schon gesehen haben. Und da rattert und knattert es im grauen Motorenhaus nebenan. Da muss ich unbedingt hin und schauen, was los ist. Gesagt, getan. Den Kopf durchs offene Fenster streckend, bewundere ich das alte Ding, das vor sich hinprustet, und sage laut in Berndeutsch: "Super, die auti Dampfmaschine, die da über ä Transmission d's Getreidesilo füut". Da sagt einer neben mir, mit seinem Kopf ebenfalls im Maschinenraum steckend: "I has ou grad dänkt." Erstaunt ob der Antwort schaue ich ihn an und erwidere: "Aha, ou ä Bärner, bärndütsch hani itz scho äs zitli nümme ghört." "I bi dr'Beno" sage ich zu ihm, und er meint " und I dr'Jaco".
Jetzt noch mehr erstaunt, erzähle ich ihm, heute morgen hätten uns eine Ursula und ein Jaco Material auf dem Campingplatz hinterlassen. Da meint er lachend, ja sie hätten bei einem Berner Hymermobil Restmaterial deponiert, da sie heute abend nach Hause fliegen würden. Hinter uns die beiden Frauen Lydia und Ursula, fast nebeneinander stehend, haben die Szene mitverfolgt. Nun fängt das freudige Gelächter erst richtig an. Wir alle können den Zufall kaum fassen. Schnell kommen wir ins Gespräch und plaudern eine Weile miteinander. Nach Austausch der Adressen verabschieden wir uns. Aber der Zufall will es, dass wir uns auf diesem grossen Gelände noch zweimal begegnen. Einmal in der alten Eisenbahn, da steigen beide unversehens beim nächsten Halt in den Waggon, wo wir schon sitzen, und dann beim Ausgang auf einer Terrasse beim Bier. "Wir werden uns sicher wieder treffen, wenn ihr dann zu Hause seid," ist der letzte Satz, bevor die zwei im Bus verschwinden, der sie zum Flughafen bringt.