Die beiden letzten Wochen in Kanada wollen wir auf Vancouver Island verbringen. Es regnet während dem Überschiffen von Vancouver-Nord nach Nanaimo. Nachdem wir wieder festen Boden unter den Rädern haben, beschliessen wir, nach dem Auffüllen des Kühlschranks an die Westküste zu fahren. Über zwei Stunden dauert die Fahrt durch Täler und entlang einiger Seen. Eine extrem kurvige und enge Strasse, die wir befahren müssen, um die Insel zu queren.
Lydia hat währenddessen ein paar Vorschläge zum Übernachten ausgearbeitet. Der Pacific Rim National Park ist unser gemeinsamer Entscheid. Der Campingplatz liegt in einem Regenwald hoch über der Küste zwischen Ucluelet und Tofino. Extrem düster wirkt hier die Umgebung unseres Standplatzes. Jeder Baum ist vom Strunk bis zur Krone mit Miesch eingewickelt und tausende von grünbraunen Mieschfäden hangen an den Ästen. Das dichte Unterholz scheint fast undurchdringlich zu sein. Märchenhaft und mystisch mutet uns die Gegend an. Alles steht unter Naturschutz und die Unberührtheit vermittelt ein Gefühl von Urtümlichkeit.
Vom Campingplatz runter zum Strand Long Beach sind es nur einige Minuten über einen schmalen Waldpfad. Der Sandstrand ist sehr breit und endet mit angeschwemmten, kreuz und quer liegenden Holzstämmen. Beeindruckend wirkt die über 10 km lange öde Sandbucht. Wir sind auf der Suche nach angeschwemmten Seetieren, schlendern der fast leeren Beach entlang und entdecken im Nebel Surfer und Polospieler. Der durch die starke Gischt entstehende Nebel strömt über unsere Köpfe hinweg die Steilküste hoch und durchstreift den Regenwald. Die Küste ist hier beeindruckend schön.
Aber wir sind ja auch an die Westküste gefahren, um hier Wale zu beobachten, so wie es die Werbung verspricht. Wir buchen bei Archipelago Wildlife Cruises im Fischerdorf Ucluelet eine 5stündige Jachtschiffsreise mit besonderem Ambiente. Beim Ehepaar Toddy und Al steht das komfortable Schifffahren mit ihrer Raincoast Maiden entlang vieler schöner Inseln, inklusive einem schmackhaften kalten Mittagessen begleitet von einem Glas Champagner, im Vordergrund. Das gefällt uns besonders gut, denn das Hin-und-Her-Jetten in Tadoussac am Sankt-Lorenzstrom vor bald 6 Monaten, um Wale sichten zu können, war eher enttäuschend für uns.
Al ist hier aufgewachsen und war früher Shrimps-Fischer (Crevetten) und Toddy (eigentlich Renate) ist eine ehemalige Deutsch-Südafrikanerin mit Ausbildung als Meeresbiologin. Beide erzählen uns viel Spannendes während der Fahrt. Sie weiss viel über das Meer und seine Tiere und er kennt eine Menge Geschichten aus dieser Gegend, die er in einer witzigen unterhaltenden Art erzählt. Fünf Ehepaare aus verschiedenen Staaten der USA, davon eines auf der Hochzeitsreise, und ein deutsches Ehepaar begleiten uns. Und was erleben wir da alles beim Schifffahren auf rauher See: Wir sichten zweimal einen Weisskopfseeadler und begleiten begeistert während einiger Zeit sogar zwei Buckelwale auf Distanz! Eine Seehund- und Seelöwenkolonie sowie alle Arten von Vögeln sind weitere packende Beobachtungen auf dieser tollen Fahrt.
Etwas müde und durchgeschüttelt vom Auf und Ab auf hoher See beschliessen wir, abends wieder einmal auswärts zu dinieren. Begeistert vom heutigen Mittagessen, das Toddy vom Restaurant Norwood's bezieht, reservieren wir telefonisch einen Tisch und haben Glück, dass noch etwas frei ist. Schön zurecht gemacht für diesen Abend, suchen wir zu Fuss dieses Restaurant im kleinen Ort Ucluelet auf. Von aussen wirkt das Restaurant eher nüchtern, man könnte es tagsüber fast übersehen, aber drinnen mit modernen Holzeinrichtungen und tollen Bildern schmuckhaft eingerichtet, sieht Norwood's sehr schön aus. Fast alle Tische sind schon besetzt. Die Kanadier essen sehr früh zu Abend, meistens zwischen 5 und 7 Uhr. Nach acht bekommt man nicht mehr überall warmes Essen und oft wird die Rechnung schon mit dem Dessert überreicht.
Aber hier ist es anders. Der Chef begrüsst uns persönlich, begleitet uns an einen Tisch und merkt an unserem Akzent, dass wir Schweizer sein müssen. Er stellt sich vor und erklärt mit ein paar Brocken Schwiizerdütsch, dass er unter vielen andern namhaften Orten auch in einem 5-Sternehotel am Vierwaldstättersee gearbeitet hätte. Eigentlich wirkt alles auf uns sehr einladend, aber so gediegen wollten wir gar nicht essen. Aber auf französisch verschwinden können wir nun nicht mehr, denn schon steht ein sympathischer Kellner an unserem Tisch, begrüsst uns sehr freundlich und stellt sich mit Vornamen vor. Er erläutert uns diverse Tagesspezialitäten und streckt uns die schön eingebundene Speisekarte zu. Was wir bereits erahnen, trifft dann auch zu: Vorspeisen für bis zu 30 Dollar, Hauptspeisen ab 40 Dollar und die Desserts, da will ich lieber gar nicht hinschauen. Ich verzichte bei diesen Preisen auf die Vorspeise. Lydia bestellt ihre Lieblings-Scallops und meint zum Kellner, der um seine Hüfte eine schwarze Schürze gebunden hat, sie würde dann die Vorspeise mit mir teilen. Gekonnt und mit viel Charme erwidert der italienischstämmige Kanadier, er würde vom Teilen eher abraten. Aber ich bleibe dabei und bestelle nur die Hauptspeise mit der Bemerkung, eventuell später ein Dessert zu ordern.
Wir verstehen dann sogleich seine Bemerkung übers Teilen, denn was Lydia da serviert bekommt sind zwei kleine Ein-Franken-Stück grosse Scallops mit vier Gemüsestreifeli und einem zündholzkopfgrossen Saucenklecks auf einem Esslöffel Trüffel-Kartoffelstock angerichtet. So verläuft dann auch der weitere Abend. Hervorragend gekocht und sehr schön angerichtet, aber fast nichts auf dem Teller, dafür viel bei der Kreditkartenbelastung. Ich bin im Nachhinein schon etwas verärgert über meine kurzentschlossene Reservation. Wie ein solches Gourmetrestaurant in einem kleinen Fischerdorf wie Ucluelet existieren kann, ist uns ein Rätsel. Touristen gibt es ja nur in den paar Sommermonaten und die nächstgelegenen Orte sind mindestens eine Fahrstunde entfernt.